Unsere Corona-Tage –
Corona – was das Virus mit uns macht

C.B., Bonn

Die Welt im Ausnahmezustand. Ein Virus, im fernen China vom Tier auf den verletzlichen Menschen übergesprungen, hat uns im Griff, verbreitet Schrecken in Europa und macht möglich, was bis gestern unvorstellbar schien. Ärzte und Pfleger über den Rand der Erschöpfung, gequält von der Entscheidung, wem Behandlung zusteht und wer aufgegeben wird. Triage – unerhörtes Wort. Nachts fahren Militärtransporter Särge durch die Stadt.

Italien, Spanien, auch Frankreich – die Zahlen steigen, exponentiell und unaufhaltsam strebt die Kurve einem ungeahnten Gipfel zu. Virologen übernehmen die Regie, werden zu Beratern einer Politik, die plötzlich einig ist. Jenseits von Parteigrenzen und Karriereplänen arbeitet man zusammen, das Ganze im Blick, pragmatisch, schnell und doch besonnen. Vorbei sind alte Dogmen. Vorbei die Schwarze Null, vergessen der Kampf um Freiheitsrechte. Schulen geschlossen, Kontakte begrenzt, Quarantäne. Soforthilfen und Kredite mit der Gießkanne verteilt, damit die Wirtschaft stark und die Gesellschaft ruhig bleibt. Plötzlich ist alles möglich: Innenstädte wie ausgestorben, geschlossen Geschäfte, Restaurants, Spielplätze, Kirchen – über allem leuchtet das Motto: „Flatten the curve“.

Und so schnell die Welt sich ändert, so schnell wandelt sich unser Bewusstsein. Als unglaublich verlacht, als er aufkam, wird der Gedanke vorsichtig erwogen, als die Zahlen weiter steigen, und ist schon Realität. Wie schnell gewöhnt man sich ans Ungewöhnlichste? Die Macht des Faktischen, da ist sie. Ein Virus kehrt die Welt auf links. Es legt nicht nur unser Leben lahm, es stellt in Frage, was uns unverzichtbar schien. Und spannt zugleich die ganze Breite des Menschseins auf, als wäre Camus’ „Pest“ zurück: Da sind die „Ärzte“, Helfer um jeden Preis, in denen die Krise das Beste weckt. Und da sind auch sie: die Egoisten und die Profiteure der Krise. Da werden aus Krankenhäusern Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel gestohlen und im Internet zu Wucherpreisen verhökert. Da feiern Schüler und Studenten „Corona-Partys“, um der verhängten Kontaktsperre zu trotzen. „Uns trifft’s schon nicht, wir sind doch jung.“ – „Man muss doch schließlich noch feiern dürfen!“ Da gähnen leere Regale im Supermarkt, wo vorher Nudeln, Konserven und Mehl standen – und immer wieder das kostbare Toilettenpapier, gehamstert, als stünde der Weltuntergang bevor. Die Welt starrt gebannt auf die Kurve und rüstet sich zum Kampf gegen Covid19. Die so genannte zivilisierte Welt, denn was in Indien, Iran, auf dem afrikanischen Kontinent oder gar in den überfüllten Flüchtlingslagern Griechenlands geschehen wird, streift nur ein flüchtiger Gedanke, schnell zum Schweigen gebracht.

Und ich? In seltsamer Schizophrenie lebe ich meinen Alltag weiter, kämpfe mit fristgerecht fertig zu stellender Arbeit und meinen kleinen privaten Krisen. Verstehe genau, was da geschieht. Hänge täglich an den Lippen des Experten, der uns das Virus erklärt. Sehe voraus, was geschehen wird, wenn die Wirtschaft den Stillstand nicht länger zu tolerieren bereit ist. Beobachte, verfolge, reflektiere. Doch alles bleibt seltsam irreal, betrifft mich nicht. Nicht so zumindest, wie als plötzlich mitten in der Krise mein guter Freund erkrankt. Am Ende ist es weder die Krankheit noch der Verlust unserer freien Lebensart, den ich fürchte. Es ist diese kleine, private Sorge, die existentielle Ängste in mir weckt. So sind wir Menschen wohl. Unfähig, unser Handeln am großen Ganzen auszurichten, das wir zwar immer im Blick haben, aber nur als kaum beteiligter Zuschauer, klammern wir uns an das Nahe, Vertraute, Persönliche. Um die Welt zu retten, ist uns das Leichteste zu schwer. Für unser Nächstes aber würden wir fast alles geben. Ist das ein ernüchternder oder ein hoffnungsvoller Gedanke? Ich weiß es nicht. Aber so, scheint es, ist der Mensch.

divanova