Unsere Corona-Tage –
Ganz leise

Frederik Durczok, Bergheim

Es ist der soundsovielte Tag seit Corona. Ich muss meinen Kalender aufschlagen, was nur noch selten geschieht, um dies genauer sagen zu können: drei ganze Wochen und zwei Tage.

Und ich sitze zu 90 % der Zeit allein in meiner Wohnung. Es war größtenteils eine tolle Zeit, keine Frage. Doch davon zu schreiben wäre langweilig. Ich habe nun meine zweite Krise. Die erste Krise hatte ich vor zehn Tagen, kurz, nervös und aufwühlend. Ich war von den komplizierten Eiertänzen um Dinge, die sonst ganz intuitiv geschehen und der Regelung der wichtigsten sozialen NichtKontakte überfordert. Dazu mischte sich noch ein wenig revolutionärer anti-Geist – durch die einen Freunde befeuert, durch die anderen beschwichtigt. Und überhaupt: die verschiedenen Einstellungen von calvinistischer (?) Anpassung bis zu „alternativem“ Trotz schienen an mir zu zerren. Die erste Krise war schnell überwunden.

Jetzt ist es anders. Diesmal ist alles ruhiger, unaufgeregter, klarer – kurz gesagt: es ist viel schlimmer.

Auch wenn ich vorsichtig geworden bin, in diesen Tagen düstere Dinge zu verbreiten, und anderen im (halb-)öffentlichen Bereich viel lieber Mut schenken würde, möchte ich dennoch ein wenig aus der Dunkelheit mitteilen. Mich beschleicht nämlich der Verdacht, dass es anderen zur Zeit ganz ähnlich geht. Mein Verdacht also ist, dass dieses Syndrom gar keine neuen seelischen Probleme mit sich bringt. Hingegen werden die seelischen Probleme, die wir alle eben mit uns tragen, nur verstärkt.

Ich träume intensiver. Gar nicht mal schlecht. Es ist ein gewisser Leerlauf entstanden, der dem Unterbewusstsein Raum zu Verarbeitungsprozessen öffnet. Einige Träume sind wie man heute sagt schlicht „random“ (eben noch auf der Arbeit, plötzlich am Strand von Hawaillorca), manche bringen alte Konflikte und Ängste nochmal sehr explizit hervor. – Die Rede von der Traumarbeit schwebt mir im Kopfe herum.

Meine altbekannte Hemmung den Telephonhörer aufzunehmen (ja! – es ist ein rechteckiges Smartphone, ich gebe es gerne zu), um ein wichtiges Gespräch mit der einen oder anderen wertvollen Person zu führen, ist erheblich. – Grausame Szenen und Handlungen in Serien und Filmen gehen mir manchmal überraschend nahe. Auch schäme ich mich plötzlich, selbst wenn nur eine junge Römerin im Historienschinken den vorgespielten Orgasmus ihrer Mutter in abendlicher Runde imitiert.

Ich fühle mich von meiner Familie, manchmal auch von FreundInnen, unter Druck gesetzt. In Situationen, die sonst marginal ärgerlich wären, in Momenten, die gar nichts mit mir zu tun haben, und mitunter auch bei Dingen, die gar nicht passieren. Nur Kopfkino. – Und ich schäme mich für „männliche“ Gefühle, die meiner feministischen Ideologie zuwider laufen, wo mir sonst irgendeine queere Synthese schnell zur Hand läge.

Und ich erlebe ein neues Gefühl: Eifersucht. Diese ist mir bislang völlig unbekannt gewesen. – Glaubt niemand! Und es ist genauso, wie ich es bisher immer bei anderen beobachten konnte oder mir selbstherrlich einbildete beobachtet zu haben: der Punkt der Eifersucht ist völlig irrational, mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht da und wenn überhaupt ein Fünkchen Wahrheit daran ist, dann liegt mein Gefühl zielgenau knapp daneben.

Diese Krise ist leise, sie schlummert bei mir, liegt unmerklich schwer auf dem Herzen. Wie gern nur würde ich sagen, dass dies und insbesondere die gemachten Zeilen verwöhntes Geschreibsel eines Bildungsbürgers seien. – Zu viel Zeit zum Nachdenken, verkappte Geltungssucht.

Ich glaube allein, es ist anders.

Veröffentlicht in „UMBRUeCHE“, Roloff-Verlag

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